Naja, als Karrierefrau habe ich mich nie gesehen. Mir war Partnerschaft und Familie immer wichtiger. Es könnte aber sein, dass das nach außen hin manchmal nicht so sichtbar war. Immerhin ging ich sehr in meinem Job auf. Ich konnte meinem Bedürfnis, ständig etwas Neues zu lernen, Analysen und Strategien zu entwickeln sowie Andere daran teilhaben zu lassen, reichlich frönen. Interessanterweise kann ich das aber jetzt auch
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In einem anderen Artikel habe ich schon geschrieben, wie sich unser soziales Umfeld durch unser Kind geändert hat.
Dies und vermutlich noch weitere Schwingungen führte dazu, dass wir beschlossen, den Wohnort zu wechseln noch während ich in der Elternzeit war.
Es ergab sich aber noch nichts, das uns familiär, finanziell und ortsmäßig zugesagt hätte.
Also begann ich bei meinem vorherigen Arbeitgeber in Teilzeit zu arbeiten. Man hatte mir eine Stelle als Abteilungsleiterin in der Nachbarabteilung angeboten, die sogar einen Karrieresprung bedeutete. Inzwischen war ich aber schon viel zu weit weg davon, mich über Karriere zu definieren. Ich fand meinen inneren Frieden eher in heilsamer Kommunikation und in der Recherche von alternativen Lebens-, Ernährungs- und Sichtweisen. So staunten meine Kollegen wohl nicht schlecht, als sie mich nun tiefenentspannt, gelassen und mit völlig neuem Weltbild und Ansichten wiedersahen. Vor der Elternzeit war ich ständig gehetzt, perfektionistisch, intolerant den Fehlern und Launen anderer gegenüber aber dennoch effizient und erfolgreich. Ich war stolz darauf gewesen, fragte mich aber ständig, wofür und für wen ich das wirklich tat.
Jetzt, nach 2,5 Jahren erkannte man mich wohl gar nicht so richtig wieder. Ich hatte einen tiefgreifenden Entwicklungsprozess durchgemacht – nicht nur durch unser Kind, sondern auch durch die Recherche nach alternativen Heilmethoden für meinen Mann. Manche wussten gar nicht, mit meiner Veränderung umzugehen. Sie suchten vermutlich weiter nach meinen Fehlern und testeten mich ;-).
Ich stellte fest, dass, in einem großen Betrieb mit ungefähr 100 Mitarbeitern und täglich bis zu 600 Kunden meine Energie nach nur 5 (früher nach 10 Stunden!) ziemlich aufgebraucht war. Ohne Pause arbeitete ich durch, wollte so viel wie möglich in dieser kurzen Zeit schaffen und nahm mir auch nur wenig Zeit für Gespräche mit meinen Kollegen. Alle waren (und sind es dort wohl heute noch), gehetzt und getrieben davon, ihr Tagesgeschäft zu bewältigen.
Die Eingewöhnungszeit unseres Sohnes im Kindergarten hatte sehr gut geklappt. Schließlich war er 2,5 Jahre alt und ein Sonnenschein, der sich sehr gut artikulieren konnte. Innerhalb von 3 Tagen ging er in seinen Gruppenraum zu seiner neuen Bezugsperson, die sich wirklich sehr um ihn bemüht hatte. Wenn ich ihn abgeholt hatte, spürte ich aber, dass er nun immer mehr Ruhe brauchte und die Eindrücke verarbeitete. Ich wusste ja nie, WELCHE Eindrücke es waren oder wie er seine Erfahrungen interpretiert und bewertet hat. Die Schmusephasen verlängerten sich wieder.
Wir versuchten den gleichen Weg wie so viele andere Familien. Den Balance-Akt zwischen Kindergarten, Arbeit und Familie. Wenn ich nach meinen intensiven Teilzeit-Arbeitsstunden zum Kindergarten hetzte, hatte man unseren Sohn oft schon aus seinem Mittagsschlaf geweckt. Ich spürte und spüre ein großes Unbehagen, den natürlichen Ruhe- und Nahrungsrhythmus unseres Kindes zu regulieren. Mehrfach bat ich die Erzieherinnen, ihn doch schlafen zu lassen. Darum durfte ich mich dann in den Schlafraum zu ihm setzen, während die Erzieherin dann ihren Feierabend einläutete. Aber dadurch, dass auch andere Kinder in dem Raum geweckt wurden, wurde oft genug unser Kind vorzeitig wach.
Nun hatte ich jedoch am Nachmittag eigentlich selbst ein Ruhebedürfnis. Diesem konnte ich aber nicht nachgehen, weil mein Kind mich vermisst hatte und gleichzeitig oft unausgeglichen war. So viele Eindrücke, zu wenig Schlaf, andere Speisen als daheim – voller Getreide und Zucker – veränderten es immer mehr. Ich hatte große Mühe, die Verbindung zu ihm aufrecht zu erhalten und zu fühlen, welche Bedürfnisse hinter so manchem „auffälligen“ Verhalten steckten.
Die Sache mit der Regulierung des Schlafes passte auch nicht am Morgen.Wenn meine Arbeitszeit und der Kindergartenbeginn zeitlich festgelegt sind, legt das irgendwie auch unsere Ins-Bett-Geh-Zeit fest.
Ich habe mich gegen diese Fremdbestimmung innerlich sehr gewehrt und wollte auch unseren Sohn nicht wecken müssen. Ich wollte keine morgendliche Hektik, geschweige denn Disharmonie um das Anziehen und Losfahren um pünktlich zu sein! Dennoch passierte es immer öfter, dass meine alte Programmierung auf das unbedingte Pünktlichsein durchbrach. Einmal war ich so genervt, dass ich eine dicke Schramme in unser Auto fuhr! Jetzt spiegelte nicht nur mein Kind meinen emotionalen Zustand, sondern auch noch unser Auto…
Ich kam in dieser Zeit nie zu mir selbst! Meine Gelassenheit war in Gefahr. Wir hielten es einige Monate aus. Alles verschlimmerte sich, als die Bezugsperson unseres Sohnes im Kindergarten in Kur ging. Die übrig gebliebenen Erzieherinnen waren weiterhin um ihn bemüht, mussten aber immerhin eine fehlende Kollegin ausgleichen. Unser Sohn sagte mir am Morgen immer häufiger, dass er lieber zuhause bleiben möchte.
Jetzt war ich dran, zu erklären, dass ich aber gern arbeiten gehen möchte. Das Wort müssen vermied ich ja bewusst schon lange. Aber irgendwie konnte ich das ganze System immer schlechter verstehen oder erklären. Es waren ja alles unsere Entscheidungen (Affiliate-Link zu Amazon öffnet sich in einem neuen Fenster*)gewesen. Dass ich wieder arbeiten gehen sollte, dass er in den Kindergarten gehen sollte. Niemand hatte uns gezwungen.
In dieser Phase kam der Film „Alphabet – Angst oder Liebe“ (Affiliate-Link zu Amazon öffnet sich in einem neuen Fenster*)zu uns. Im November 2014, unser Sohn war noch nicht einmal drei Jahre alt, saßen mein Mann und ich also abends vor dem Bildschirm. Als der Film zu Ende war, hatten wir Tränen in den Augen. Wir erkannten uns selbst unter ganz neuen Blickwinkeln wieder und hatten noch größeren Respekt vor dem Genie und der Kreativität unseres Kindes. Wir wollten nicht, dass seine Seele in der Schule zerstört wird.
Sofort begannen wir die Recherche nach alternativen Schulen in unserer Umgebung. Waldorf oder Montessori – so dachten wir. Dann entdeckten wir die Schulfrei-Community und ich ging zu meinem ersten Freilerner-Treffen. Dort kaufte ich auch das Buch von Stefanie Mohsennia „Schulfrei – Lernen ohne Grenzen“(Affiliate-Link zu Amazon öffnet sich in einem neuen Fenster*). Es bietet wunderbare Beispiele und hilfreiche Argumentationen für das geliebte Umfeld.
Ich war so begeistert von den Menschen, den Kindern und Jugendlichen, die ohne Schule lebten. Solch coole Wesen, selbstbewusst und mit sich im Reinen!
Das Universum hatte wohl nur auf uns gewartet.
Es dauerte genau sechs Monate, in denen mein Mann eine Versetzung innerhalb seiner Firma organisierte. Wir fanden Mieter für unsere Eigentumswohnung und gleichzeitig ein wunderbares Häuschen in Frankreich an der Grenze zum neuen Arbeitsplatz meines Mannes. Nun leben wir seit einem Jahr idyllisch in der Natur, frei von Fremdbestimmung und können unseren Sohn frei lernen lassen.
Juli 2016
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